Dienstag, 18. September 2012

Tag 34 am 18.09.2012 von Chagny nach Moroges

Gegen 07:00 h war ich aufgestanden und habe mein Zelt abgebaut. Peter aus Köln, im Nachbarzelt, schien offensichtlich noch zu schlafen.

Als ich gestern auf dem Zeltplatz ankam, war die Rezeption geschlossen. Sie war nur am Nachmittag für ein paar Stunden geöffnet. Als ich am gestrigen Abend mit meinen Einkäufen zurückkehrte, hatte die freundliche, junge Dame am Empfang bereits ihren Computer wieder heruntergefahren. Mit einigem Charme entlockte sie mir den Personalausweis, legte ihn in ein Kästchen und sagte mir, ich solle heute früh ab 08:00 h erneut vorbeikommen, um meine Übernachtung zu bezahlen.
Das habe ich auch gemacht. Leider hatte ich einen ziemlich nervtötenden Niederländer vor mir. Er bestand darauf, der jungen Frau auf Englisch zu erklären, was an seinem Fahrrad kaputt sei. Sie sollte den Mangel in französischer Sprache aufschreiben, damit er den Zettel in der Fahrradwerkstatt vorlegen könne. Er gab erst Ruhe, nachdem die junge Frau erklärte, dass sie Brasilianerin sei und sie lange nicht so gut Französisch spräche, wie es sich vielleicht anhören würde.

Gegen 08:30 h konnte ich dann auch endlich meine Rechnung bezahlen, bekam meinen Ausweis wieder und durfte endlich starten. Schnell hatte ich den Ort Chagny durchquert und überquerte am Ortsausgang erst einmal einen Kanal.


Danach wurde es sofort zusehends ländlicher und bald verließ mein Weg die Straßen und führte über einen felsigen Schotterweg immer bergauf auf den nächsten Hügelzug zu.

Hier im Aufstieg traf ich dann auf sie. Große, schwarze, breitkrempige Hüte mit übergroßer, silberner Jakobsmuschel und gewaltige Pilgerstäbe. Der zu erwartende Pilgerumhang wurde allerdings durch hochwertigste Outdoor - Bekleidung ersetzt. Nach der Beschreibung von Moni und Thomas konnten das nur „die beiden Kölner“ sein. Mehr oder weniger sprach ich sie auch so an. Sie erkannten mich sofort als „den Solinger“.

Der Nachrichtendienst unter Pilgern schien also zu funktionieren. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl.

Gemeinsam stapften wir bergwärts und erreichten bald eine heideähnliche Hochfläche.
Wir kamen ins Gespräch, ohne uns namentlich vorgestellt zu haben.

Schnell referierte „Der Kölner“ darüber, dass er gemeinsam mit seiner Frau den einzig wahren Jakobsweg begehen würde. Also seiner Meinung nach den von Köln über Trier, Cluny, Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port und danach entlang der spanischen Nordküste, da diese ja wie alle Küsten zuerst besiedelt wurde… . Weiter führte er aus, dass er den Weg zum Wandern über den Deutschen Alpenverein gefunden habe und eigentlich aus dem Kletterbereich komme. Es gäbe für ihn nichts Schöneres, als sich in der Natur anhand von Landkarten und Kompass zu bewegen, in den Alpen sei allerdings auch ein Höhenmesser von Vorteil.

„Die Kölnerin“ sprach derweil kaum ein Wort und ging immer mit einigem Abstand hinter uns her.

Plötzlich tönte ein seltsam schnarrendes Signal aus der Hosentasche „des Kölners“. Ich dachte mir noch, welch ein vorzeitlicher Handyklingelton. Falsch gedacht. Ein gezielter Griff in die Hosentasche „des Kölners“ förderte ein Hightech Navigationsgerät hervor, welches verkündete, das wir von der vorgesehenen Route abgewichen waren. Ich glaube, ein leichtes Prusten konnte ich nicht unterdrücken und hatte echte Mühe, nicht vor Lachen ins Heidekraut zu beißen. Jedoch folgte ich den Beiden mit ihrem zuverlässigen Navi, nicht ganz uneigennützig, bis nach Rully.


In dem Ort konnte ich meinen Weg anhand der Beschreibung und der Kennzeichnung wieder alleine aufnehmen. In einer kleinen Parkanlage in Rully traf ich erneut auf Moni und Thomas. Ich blieb auf ein kurzes Gespräch bei ihnen und ließ „die Kölner“ ziehen. In einem kleinen Lebensmittelgeschäft kaufte ich eine große Weintraube und ein paar kleine Tomaten. Wie sich später herausstellten sollte, sind Weintrauben auf nüchternen Magen nicht unbedingt die allererste Wahl, zumal sie, gelinde gesagt, die Verdauung stark anregen. 

Ab der Parkanlage setzte ich meinen Weg wieder alleine fort. Er führte mich zunächst steil bergan und aus der Stadt hinaus. Ich passierte am Ortausgang das „Chateau Rully“ eine ansehnliche Schlossanlage.


Schon sehr bald darauf befand ich mich auf einem Hochplateau. Links und rechts der Straße lagen wieder die weitläufigen Weinfelder der Bourgogne.


Im weiteren Verlauf ging es dann durch ein Waldstück mit undurchdringlichen Buchsbaumhecken links und rechts des Weges.


Nach Verlassen des Waldes und einem großen Weinfeld später ereichte ich eine kleine Passhöhe.


Von hier führte ein Fahrweg hinab in den kleinen Ort Mercurey.Linkerhand, direkt am Ortseingang, stand die Kirche „Notre Dame De Mercurey“. Auf dem Vorplatz gab es einige Hinweistafeln zur Bedeutung und Entstehung der Kirche. Darauf war auch ein schöner Stempel abgebildet, den ich unbedingt in meinem Pilgerpass haben wollte. Leider war die Kirche verschlossen.

Am dritten Haus traf ich auf eine aparte Bewohnerin, die sehr gut Englisch sprach. Sie erklärte mir, dass ein paar Straßen weiter, in der Rue de Chamerose das Weingut der Mme Janine Menand läge. Mme Menand besäße einen Schlüssel für die Kirche. Ich suchte das Weingut und traf auf Frau Menand. Sie erklärte sich sofort bereit, mit mir die 400 m zurück zur Kirche zu gehen, um mir dort einen Stempel in den Ausweis zu drücken.

Nach Durchquerung des Ortes stieg der Weg wieder in den nächsten Weinberg an.
Bei einem Blick über Mercurey hinweg zurück, erkannte ich gut den Fahrweg, auf dem ich zuvor vom letzten Weinberg kommen hinab in den Ort gewandert war.


Auf der nächsten Anhöhe passierte ich die alte Kirche Saint-Symphorien-de-Touches.


Von dieser Höhe ging es wieder hinab ins Tal, nach Saint-Martin-sous-Montaigu. Ein Blick in die Lankarte bestätigte meinen Verdacht.
Das gemächliche Wandern zwischen den ebenen Weinfeldern oder immer auf halber Höhe entlang der Weinberge schien beendet. Der heutige Weg führte ganz offensichtlich quer zur Geländefaltung, sodass ich noch den einen oder anderen Auf- und Abstieg vor mit hatte. Ich kümmerte mich nicht darum, denn das Laufen fiel mir heute leicht.

Am Fuß einer Schichtmauer entdeckte einen ganz besonderen Bewohner. Normalerweise huschen hier kleine, schlanke, braune Eidechsen zwischen den Steinen hin und her.


Auf einem platten Stein sonnte sich ein auffallend großes und fettes Exemplar einer grünen Eidechse. Sie flüchtete netterweise nicht sofort und gab mir die Gelegenheit zu einem gelungenen Schnappschuss.

Nach der Durchquerung von Saint-Martin-sous-Montaigu ging es direkt wieder hinauf auf den nächsten Höhenzug. Ein endlos erscheinender und schwer zu gehender felsiger Weg führte mich ständig bergan. Er zog und zog sich. Ich musste nach einiger Zeit eine kleine Pause einlegen und einen ordentlichen Schluck aus meiner Wasserflasche nehmen.


Die weitere Wegbeschreibung verhieß nichts Gutes. So sollte der Weg am oberen Ende des Waldes den Eindruck vermitteln, als sei man bereits oben angekommen. Danach setzte der Pfad sich aber, immer noch stets bergan führend, durch eine große Heidefläche fort, die die gesamte Bergkuppe bedeckte. Endlich hatte ich den Gipfel des Hügels erreicht und pausierte ein weiteres Mal unter einem der typischen Steinkreuze an einer Wegkreuzung. Ich war ganz gut außer Atem.


In Gedanken stellte ich mir bereits vor, wie es in der Auvergne zugehen würde, wo die Hügel deutlich mehr als doppelt so hoch waren wie hier. Schon bald darauf erschloss sich aus der Höhe in östlicher Richtung ein toller Blick hinunter auf Chalon-sur-Saone, der französischen Partnerstadt meines Wohnortes Solingens.


Manchmal schien sich der Weg durch die grasige Hochfläche zu verlieren und war zum Teil nur zu erahnen. Offensichtlich hatte sich mein Gefühl nicht geirrt, ich erreichte, wie vorgesehen, den Ortsrand von Russily.

Der Ort wurde lediglich kurz berührt und weiter ging es durch Wiesen und Wälder. An einer Stelle verjüngte sich ein Waldgebiet zu einem nur noch etwa 10 m breiten, mit Bäumen bestandenen Streifen. Durch diesen schmalen Waldstreifen führte ein tunnelartiger Hohlweg direkt auf eine Viehweide zu.
Unmittelbar hinter dem Hohlweg stand ein Charolais – Jungbulle. Er nahm mich direkt ins Visier, schnaubte, riss mit seinem rechten Vorderhuf eine ansehnliche Grassode aus der Wiese und warf diese nach hinten. Ich habe wirklich eine ganze zeitlang überlegt, ob ich auf dem Feldweg an der Weide vorbeigehen sollte. Eine akzeptable Umgehung war für mich auf die Schnelle leider nicht erkennbar.


Ich nahm mir ein Herz, öffnete schon mal den Bauchgurt des Rucksacks und lockerte die Schulterträger, damit ich mich im Notfall schnell vom Rucksack befreien und das Weite suchen konnte. Der Jungbulle mampfte weiter sein Gras und schaute mich gelangweilt an, während ich vorsichtig vorbei schlich. Möglicherweise hatte ich ihn auf seiner unendlich ruhigen Weide nur erschreckt.

Und wieder führte mich mein Weg bergab in das nächste Tal, nach Charnaille und in der Folge nach Jambles. Ich passierte den fast angrenzenden Ort Jambles, wo ich mir meine 1,5 Liter Trinkflasche nochmals auffüllen ließ.

Allmählich kamen in mir Gedanken an die nächste Nacht auf. Wo immer ich auch bleiben würde, jetzt hatte ich bis zum morgigen Tag genug zu Trinken und zu Essen dabei.

Hinter Jambles stieg der Weg zum nächsten Hügel wieder an. Ein Blick zurück offenbarte die malerische Lage der beiden Orte in dem stillen Hochtal.



Erneut ging es erst durch einen Waldgürtel, hinauf auf eine heideartige Fläche auf der Höhe.

Diesmal war die riesige Heidefläche zum Teil durch Weidezäune in nicht zu überschauende Parzellen unterteilt. Hier galt es einen engen Durchgang in die grobe Richtung des Örtchens St. Dessert zu finden. In St. Dessert hatten Moni und Thomas ihr Ausweichquartier für Moroges klar gemacht.

An den Zugängen zu den letzten beiden großen Heideflächen mussten jeweils Gatter durchquert werden. Vor dem kommenden Gatter wurde in der Wegbeschreibung ausdrücklich gewarnt. In dem Buch stand „Vorsicht vor dem Stacheldraht“.
Ich erreichte dieses Gatter. Es war etwa drei Meter breit und aus dicken Holzbrettern zusammengenagelt. Zudem war es innen und außen mit reichlich Stacheldraht beschlagen.
Ich hing das Gatter an der einen Seite aus und drückte es leicht auf. Direkt fiel das Konstrukt in sich zusammen, da sich die Bretterverbindungen untereinander im Laufe der Jahre wohl gelockert hatten.
Nach passieren des Gatters versuchte ich es wieder aufzurichten und zu verschließen. Mit Rucksack keine Chance. Ich setzte meinen Rucksack ab. Erneut richtete ich das Gatter mit aller Kraft wieder auf und drückte es zu. Ich stemmte mich mit dem ganzen Körper dagegen und achtete hierbei, wie empfohlen, auf den Stacheldraht.
Als ich gerade mit der einen Hand das Gatter mit der dafür vorgesehenen Drahtschlaufe verschließen wollte, geriet ich (bei kurzer Hose) mit meiner leicht schwitzigen Kniekehle an den verrosteten Draht eines Elektroweidezaunes, der bis dahin im halbhohen Gras nicht sichtbar war.
Bang! Das waren Schmerzen.
Mein Körper zuckte zusammen und in den nächsten zwei drei Minuten war mir richtig schummerig.
Das Gatter krachte bei dem Stromschlag natürlich wieder altersschwach zu Boden.
Nachdem ich es erfolgreich wieder aufgestellt und eingehangen hatte, wurde mir auch klar, warum der junge Charolaisbulle von vorhin so friedlich auf seiner Weide blieb und gebührenden Abstand zum Weidezaun hielt.
Ich fragte mich allen Ernstes mit welchen Stromstärken Weidezäune in Frankreich betrieben werden.

Ein letztes Mal für diesen Tag führte der Weg ins Tal, in den Ort Cercot. Hier musste ich die autobahnähnliche N80 unterqueren. Es folgte ein weitere letzter, dafür umso steilerer Anstieg hinauf nach Moroges, wo ich wohl keine Übernachtungsmöglichkeit zu erwarteten hatte.


Irgendwie fühlte ich mich trotz des heutigen ständigen Bergauf und Bergab und der bereits zurückgelegten Strecke von 26 Kilometern noch relativ fit. Im Gedanken spielte ich damit, noch die sechs Kilometer bis Montagy-les-Buxy weiter zu gehen, wo sich zahlreichere Übernachtungsmöglichkeiten boten.

Mit diesem Gedanken im Kopf lief durch das Straßendorf Moroges, schaute aber dennoch vorsichtshalber nach links und rechts, ob sich nicht irgendwo ein Hinweis auf ein „Chambre“ finden ließ, was im Pilgerführer nicht erwähnt war.

Mein suchender Blick wurde ganz offensichtlich wahrgenommen. Mir kam ein ziemlich alter Peugeot entgegen, der in meiner Höhe mitten auf der Straße anhielt. Dem Fahrzeug entstieg eine noch deutlich ältere Gemeindeschwester, die sich im nach hinein als echter Engel entpuppen sollte. Leider sprach sie nur Französisch. Mit Händen und Füßen fragte sie mich, wo ich schlafen wolle. Ich antwortete ihr, ebenfalls mit Händen und Füßen, in einem Bett, in meinem Zelt oder irgendwo an einem trockenen Platz. Die alte Dame räumte derweil den Beifahrersitz ihres Wagens frei. Ohne weitere Worte nahm sie mir meinen Rucksack ab und packte ihn in den Kofferraum. Danach musste ich einsteigen.

Sie fuhr mich etwa 300 Meter zurück zu einem kleinen Haus.


Hier wohnte der zweite „Engel“ den ich heute kennen lernen durfte. Es handelte sich um Herrn Francois Duniault. Er war der Hausmeister der Dorfschule und kümmerte sich wohl auch um die Kirche und das Kirchanwesen. Die Gemeindeschwester stellte mich kurz vor und verschwand dann ziemlich schnell, so dass ich mich gerade noch mittels Zuruf bei ihr bedanken konnte. Herr Duniault führte mich zu einem anderen kleinen Haus in seiner direkten Nachbarschaft.


Hier, im Dachgeschoss, gab es einen großen und blitzsauberen Doppelraum, der der Einrichtung nach für Kindergruppen genutzt wurde. Herr Duniault schaltete mir den Boiler an, damit ich am Waschbecken warmes Wasser zur Verfügung hatte.


Er händigte mir den Hausschlüssel und den Schulschlüssel aus. Den Schulschlüssel deshalb, weil es in dem Häuschen keine Toilette gab. So musste ich quer über den Kirchplatz zur Schule gehen, um eine Toilette zu erreichen.

Er fragte mich noch, ob ich Alles für ein Abendbrot dabei hätte. Ich erklärte ihm, dass ich Würstchen, Käse und Nüsse dabei hätte und das ein Stück Brot und eine Flasche Wein auf die Nacht vielleicht nicht schlecht wären.

Herr Duniault verstand mich. Er vermittelte mir, dass er sich um das Brot kümmern wolle. Wein gäbe es bei einem Winzer, kaum 100 m Meter von meiner Unterkunft entfernt, zu kaufen. Gleichzeitig griff er zum Telefon und telefonierte mit dem Winzer. Soweit ich verstehen konnte erzählte er begeistert von einem „Pelerin Compostelle“ also von mir. Ich verstand etwas von „bouteille“ und „vin de table“ und „rouge“ also von einem einfachen roten Tafelwein. Er sprach aber auch, eher bittend, von einer „dégustation“, wie ich heute weiß, von einer Verkostung.

Wir gingen auseinander. Herr Duniault fuhr los, um mir ein Stück Brot zu besorgen.
Ich ging zum Winzer, um mir eine Flasche Wein zu kaufen. Mittlerweile hatte Regen eingesetzt.
Auf dem Winzerhof wurde ich direkt von einer älteren Dame freundlich in Empfang genommen.
Sie führte mich in einen rustikalen Verkaufsraum und schon kam ich den Genuss einer umfangreichen Weinprobe. Die Dame schenkte mir begeistert einen edlen Tropfen nach dem anderen in Probiergläser ein. Es galt Burgunderweine der Sorten Pinot Noire, Pinot Blanche, Aligoté und Chardonnay zu verkosten. Darüber hinaus durfte ich zwei champagnerähnliche „Crémants“ in weiß und rosé probieren. Ich hatte lange nichts gegessen und dementsprechend entfalteten die Weine ihre deutliche Wirkung.

Ich war ziemlich froh, dass ich zum Schluss der Verkostung meine Flasche roten Tafelwein zum Preis von 5.60 € übereicht bekam. Ich legte das Geld passend auf den Tisch. Die ältere Dame schob mir die Münzen lächelnd zurück und nahm nur den 5 Euroschein. Schon deutlich beschwingt ging ich zurück in meine zurück in meine Unterkunft.

Gegen 19:30 h kam Herr Duniault zurück und übergab mir ein kleines Baguette. Er erkundigte sich noch, ob alles OK wäre. Natürlich war es das.

Ich machte ihm mit Händen und Füßen klar, dass ich morgen früh zeitig los wollte und deshalb schon mal gerne die Kosten für die Unterkunft begleichen würde. Herr Duniault winkte ab und meinte, dass das Zimmer für mich „gratuit“ sei, also nichts kosten würde. Auch das Baguette wollte er nicht bezahlt haben, obwohl er extra mit seinem Wagen losgefahren war, um es zu besorgen. Ein wahrer Engel.

Aber es sollte noch besser kommen.

Herr Duniault erkundigte sich, wohin ich morgen gehen wollte. Ich sagte ihm, bis St. Gengoux-le-National. Sofort kam wieder das Telefon ins Spiel. Herr Duniault rief seinen Freund, Herrn René Lacroix, an. Herr Lacroix betreut eine Pilgerunterkunft in St. Gengoux und spricht recht gut Deutsch.
Ich konnte selbst mit ihm telefonieren und er reservierte mir für die morgige Nacht ein Zimmer.
Herr Duniault notierte kurzerhand die Anschrift und Telefonnummer des Herrn Lacroix auf einen Zettel, den er mir in die Hand drückte. Danach wünschte er mir eine gute Nacht.

Gegen 20:00 h öffnete ich mir die Flasche Wein und genoss ein ausgiebiges Abendbrot. Ich ließ den langen Tag noch einmal Revue passieren.


Ich kam zum Schluss, dass der Tag durch das ständige bergauf und bergab anstrengend war. Ich hatte, mit „den Kölnern“ ein lustiges und mit dem Weidezaun ein sehr schmerzhaftes Erlebnis.

Das schönste Erlebnis überhaupt war aber die Begegnung mit der liebenswürdig resoluten Gemeindeschwester und der gelebten Gastfreundschaft des Herrn Duniault. Diese Begebenheit wird mir immer in Erinnerung bleiben. Sie war die bislang schönste Erfahrung auf meinem bisherigen Pilgerweg.

An dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank an die Beiden.



































 
 

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Etappe 34
Am 18.09.2012
Von Chagny über Rully und Mercurey nach Moroges
Streckenlänge: 26 Kilometer
 
Gegen 07:00 h war ich aufgestanden und habe mein Zelt abgebaut. Peter aus Köln, im Nachbarzelt, schien offensichtlich noch zu schlafen.
Als ich gestern auf dem Zeltplatz ankam, war die Rezeption geschlossen. Sie war nur am Nachmittag für ein paar Stunden geöffnet. Als ich am gestrigen Abend mit meinen Einkäufen zurückkehrte, hatte die freundliche, junge Dame am Empfang bereits ihren Computer wieder heruntergefahren. Mit einigem Charme entlockte sie mir den Personalausweis, legte ihn in ein Kästchen und sagte mir, ich solle heute früh ab 08:00 h erneut vorbeikommen, um meine Übernachtung zu bezahlen.
Das habe ich auch gemacht. Leider hatte ich einen ziemlich nervtötenden Niederländer vor mir. Er bestand darauf, der jungen Frau auf Englisch zu erklären, was an seinem Fahrrad kaputt sei. Sie sollte den Mangel in französischer Sprache aufschreiben, damit er den Zettel in der Fahrradwerkstatt vorlegen könne.
Er gab erst Ruhe, nachdem die junge Frau erklärte, dass sie Brasilianerin sei und sie lange nicht so gut Französisch spräche, wie es sich vielleicht anhören würde.
Gegen 08:30 h konnte ich dann auch endlich meine Rechnung bezahlen, bekam meinen Ausweis wieder und durfte endlich starten.
Schnell hatte ich den Ort Chagny durchquert und überquerte am Ortsausgang erst einmal einen Kanal.
Danach wurde es sofort zusehends ländlicher und bald verließ mein Weg die Straßen und führte über einen felsigen Schotterweg  immer bergauf auf den nächsten Hügelzug zu.
 
Hier im Aufstieg traf ich dann auf sie. Große, schwarze, breitkrempige Hüte mit übergroßer, silberner Jakobsmuschel und
gewaltige Pilgerstäbe. Der zu erwartende Pilgerumhang wurde allerdings durch hochwertigste Outdoor - Bekleidung ersetzt. Nach der Beschreibung von Moni und Thomas konnten das nur „die beiden Kölner“ sein. Mehr oder weniger sprach ich sie auch so an. Sie erkannten mich sofort als „den Solinger“.
Der Nachrichtendienst unter Pilgern schien also zu funktionieren. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl.
 
Gemeinsam stapften wir bergwärts und erreichten bald eine heideähnliche Hochfläche.
Wir kamen ins Gespräch, ohne uns namentlich vorgestellt zu haben.
Schnell referierte „Der Kölner“ darüber, dass er gemeinsam mit seiner Frau den einzig wahren Jakobsweg begehen würde. Also seiner Meinung nach den von Köln über Trier, Cluny, Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port und danach entlang der spanischen Nordküste, da diese ja wie alle Küsten zuerst besiedelt wurde… . Weiter führte er aus, dass er den Weg zum Wandern über den Deutschen Alpenverein gefunden habe und eigentlich aus dem Kletterbereich komme. Es gäbe für ihn nichts Schöneres, als sich in der Natur anhand von Landkarten und Kompass zu bewegen, in den Alpen sei allerdings auch ein Höhenmesser von Vorteil.
„Die Kölnerin“ sprach derweil kaum ein Wort und ging immer mit einigem Abstand hinter uns her.
Plötzlich tönte ein seltsam schnarrendes Signal aus der Hosentasche „des Kölners“.
Ich dachte mir noch, welch ein vorzeitlicher Handyklingelton. Falsch gedacht.
Ein gezielter Griff in die Hosentasche „des Kölners“ förderte ein Hightech Navigationsgerät hervor, welches verkündete, das wir von der vorgesehenen Route abgewichen waren. Ich glaube, ein leichtes Prusten konnte ich nicht unterdrücken und hatte echte Mühe, nicht vor Lachen ins Heidekraut zu beißen.
Jedoch folgte ich den Beiden mit ihrem zuverlässigen Navi, nicht ganz uneigennützig, bis nach Rully.
 
In dem Ort konnte ich meinen Weg anhand der Beschreibung und der Kennzeichnung wieder alleine aufnehmen.
In einer kleinen Parkanlage in Rully traf ich erneut auf Moni und Thomas. Ich blieb auf ein kurzes Gespräch bei ihnen und ließ „die Kölner“ ziehen.
 
In einem kleinen Lebensmittelgeschäft kaufte ich eine große Weintraube und ein paar kleine Tomaten.
Wie sich später herausstellten sollte, sind Weintrauben auf nüchternen Magen nicht unbedingt die allererste Wahl, zumal sie, gelinde gesagt, die Verdauung stark anregen. 
 
Ab der Parkanlage setzte ich meinen Weg wieder alleine fort. Er führte mich zunächst steil bergan und aus der Stadt hinaus.
Ich passierte am Ortausgang das „Chateau Rully“ eine ansehnliche Schlossanlage.
 
Schon sehr bald darauf befand ich mich auf einem Hochplateau. Links und rechts der Straße lagen wieder die weitläufigen Weinfelder der Bourgogne.
 
Im weiteren Verlauf ging es dann durch ein Waldstück mit undurchdringlichen Buchsbaumhecken links und rechts des Weges.
 
Nach Verlassen des Waldes und einem großen Weinfeld später ereichte ich eine kleine Passhöhe.
Von hier führte ein Fahrweg hinab in den kleinen Ort Mercurey.
 
Linkerhand, direkt am Ortseingang, stand die Kirche „Notre Dame De Mercurey“. Auf dem Vorplatz gab es einige Hinweistafeln zur Bedeutung und Entstehung der Kirche. Darauf war auch ein schöner Stempel abgebildet, den ich unbedingt in meinem Pilgerpass haben wollte. Leider war die Kirche verschlossen.
Am dritten Haus traf ich auf eine aparte Bewohnerin, die sehr gut Englisch sprach. Sie erklärte mir, dass ein paar Straßen weiter, in der Rue de Chamerose das Weingut der Mme Janine Menand läge. Mme Menand besäße einen Schlüssel für die Kirche. Ich suchte das Weingut und traf auf Frau Menand. Sie erklärte sich sofort bereit, mit mir die 400 m zurück zur Kirche zu gehen, um mir dort einen Stempel in den Ausweis zu drücken.
Nach Durchquerung des Ortes stieg der Weg wieder in den nächsten Weinberg an.
Bei einem Blick über Mercurey hinweg zurück, erkannte ich gut den Fahrweg, auf dem ich zuvor vom letzten Weinberg kommen hinab in den Ort gewandert war.
 
Auf der nächsten Anhöhe passierte ich die alte Kirche Saint-Symphorien-de-Touches.
 
Von dieser Höhe ging es wieder hinab ins Tal, nach Saint-Martin-sous-Montaigu. Ein Blick in die Lankarte bestätigte meinen Verdacht.
Das gemächliche Wandern zwischen den ebenen Weinfeldern oder immer auf halber Höhe entlang der Weinberge schien beendet. Der heutige Weg führte ganz offensichtlich quer zur Geländefaltung, sodass ich noch den einen oder anderen Auf- und Abstieg vor mit hatte. Ich kümmerte mich nicht darum, denn das Laufen fiel mir heute leicht.
 
Am Fuß einer Schichtmauer entdeckte einen ganz besonderen Bewohner. Normalerweise huschen hier kleine, schlanke, braune Eidechsen zwischen den Steinen hin und her.
Auf einem platten Stein sonnte sich ein auffallend großes und fettes Exemplar einer grünen Eidechse. Sie flüchtete netterweise nicht sofort und gab mir die Gelegenheit zu einem gelungenen Schnappschuss.
 
 
Nach der Durchquerung von Saint-Martin-sous-Montaigu  ging es direkt wieder hinauf auf den nächsten Höhenzug.
Ein endlos erscheinender und schwer zu gehender felsiger Weg führte mich ständig bergan. Er zog und zog sich.
Ich musste nach einiger Zeit eine kleine Pause einlegen und einen ordentlichen Schluck aus meiner Wasserflasche nehmen.
Die weitere Wegbeschreibung verhieß nichts Gutes.
So sollte der Weg am oberen Ende des Waldes den Eindruck vermitteln, als sei man bereits oben angekommen.
Danach setzte der Pfad sich aber, immer noch stets bergan führend, durch eine große Heidefläche fort, die die gesamte Bergkuppe bedeckte.
 
Endlich hatte ich den Gipfel des Hügels erreicht und pausierte ein weiteres Mal unter einem der typischen Steinkreuze an einer Wegkreuzung.
Ich war ganz gut außer Atem.
In Gedanken stellte ich mir bereits vor, wie es in der Auvergne zugehen würde, wo die Hügel deutlich mehr als doppelt so hoch waren wie hier.
 
Schon bald darauf erschloss sich aus der Höhe in östlicher Richtung ein toller Blick hinunter auf
Chalon-sur-Saone, der französischen Partnerstadt meines Wohnortes Solingens.
Manchmal schien sich der Weg durch die grasige Hochfläche zu verlieren und war zum Teil nur zu erahnen. Offensichtlich hatte sich mein Gefühl nicht geirrt, ich erreichte, wie vorgesehen,  den Ortsrand von Russily.
Der Ort wurde lediglich kurz berührt und weiter ging es durch Wiesen und Wälder. An einer Stelle verjüngte sich ein Waldgebiet zu einem nur noch etwa 10 m breiten, mit Bäumen bestandenen Streifen.
 
Durch diesen schmalen Waldstreifen führte ein tunnelartiger Hohlweg direkt auf eine Viehweide zu.
Unmittelbar hinter dem Hohlweg stand ein Charolais – Jungbulle. Er nahm mich direkt ins Visier, schnaubte, riss mit seinem rechten Vorderhuf eine ansehnliche Grassode aus der Wiese und warf diese nach hinten. Ich habe wirklich eine ganze zeitlang überlegt, ob ich auf dem Feldweg  an der Weide vorbeigehen sollte. Eine akzeptable Umgehung war für mich auf die Schnelle leider nicht erkennbar.
 
Ich nahm mir ein Herz, öffnete schon mal den Bauchgurt  des Rucksacks und lockerte die Schulterträger, damit ich mich im Notfall schnell vom Rucksack befreien und das Weite suchen konnte.
Der Jungbulle mampfte weiter sein Gras und schaute mich gelangweilt an, während ich vorsichtig vorbei schlich. Möglicherweise hatte ich ihn auf seiner unendlich ruhigen Weide nur erschreckt.
 
Und wieder führte mich mein Weg bergab in das nächste Tal, nach Charnaille und in der Folge nach Jambles.
 
Ich passierte den fast angrenzenden Ort Jambles, wo ich mir meine 1,5 Liter Trinkflasche nochmals auffüllen ließ.
 
Allmählich kamen in mir Gedanken an die nächste Nacht auf. Wo immer ich auch bleiben würde, jetzt hatte ich bis zum morgigen Tag genug zu Trinken und zu Essen dabei.
 
Hinter Jambles stieg der Weg zum nächsten Hügel wieder an. Ein Blick zurück offenbarte die malerische Lage der beiden Orte in dem stillen Hochtal.
 
Erneut ging es erst durch einen Waldgürtel, hinauf auf eine heideartige Fläche auf der Höhe.
 
Diesmal war die riesige Heidefläche zum Teil durch Weidezäune in nicht zu überschauende Parzellen unterteilt. Hier galt es einen engen Durchgang in die grobe Richtung des Örtchens St. Dessert zu finden.
In St. Dessert hatten Moni und Thomas ihr Ausweichquartier für Moroges klar gemacht.
 
An den Zugängen zu den letzten beiden großen Heideflächen mussten jeweils Gatter durchquert werden.
Vor dem kommenden Gatter wurde in der Wegbeschreibung ausdrücklich gewarnt. In dem Buch stand  „Vorsicht vor dem Stacheldraht“.
Ich erreichte dieses Gatter. Es war etwa drei Meter breit und aus dicken Holzbrettern zusammengenagelt. Zudem war es innen und außen mit reichlich Stacheldraht beschlagen.
Ich hing das Gatter an der einen Seite aus und drückte es leicht auf. Direkt fiel das Konstrukt in sich zusammen, da sich die Bretterverbindungen untereinander im Laufe der Jahre wohl gelockert hatten.
 
Nach passieren des Gatters versuchte ich es wieder aufzurichten und zu verschließen. Mit Rucksack keine Chance. Ich setzte meinen Rucksack ab. Erneut richtete ich das Gatter mit aller Kraft wieder auf und drückte es zu. Ich stemmte mich mit dem ganzen Körper dagegen und achtete hierbei, wie empfohlen, auf den Stacheldraht.
Als ich gerade mit der einen Hand das Gatter mit der dafür vorgesehenen Drahtschlaufe verschließen wollte, geriet ich (bei kurzer Hose) mit meiner leicht schwitzigen Kniekehle an den verrosteten Draht eines Elektroweidezaunes, der bis dahin im halbhohen Gras nicht sichtbar war.
 
Bang vmV. Das waren Schmerzen. Meine Haare standen wieder korrekt senkrecht und unwillkürlich schaute ich nach, ob ich meine Schuhe noch an hatte.
Mein Körper zuckte zusammen und in den nächsten zwei drei Minuten war mir richtig schummerig.
 
Das Gatter krachte bei dem Stromschlag natürlich wieder altersschwach zu Boden.
 
Nachdem ich es erfolgreich wieder aufgestellt und eingehangen hatte, wurde mir auch klar, warum der junge Charolaisbulle von vorhin so friedlich auf seiner Weide blieb und gebührenden Abstand zum Weidezaun hielt.
 
Ich fragte mich allen Ernstes mit welchen Stromstärken Weidezäune in Frankreich betrieben werden.
 
Oder war man als Kind vielleicht wirklich schmerzfrei. Schließlich hatten wir als Kinder im Bergischen Land hin und wieder eine Mutprobe daraus gemacht, einen Elektroweidezaun anzufassen.
 
Ein letztes Mal für diesen Tag führte der Weg ins Tal, in den Ort Cercot. Hier musste ich die autobahnähnliche N80 unterqueren. Es folgte ein weitere letzter, dafür umso steilerer Anstieg hinauf nach Moroges, wo ich wohl keine Übernachtungsmöglichkeit zu erwarteten hatte.
 
Irgendwie fühlte ich mich trotz des heutigen ständigen Bergauf und Bergab und der bereits zurückgelegten Strecke von 26 Kilometern noch relativ fit. Im Gedanken spielte ich damit, noch die sechs Kilometer bis
Montagy-les-Buxy weiter zu gehen, wo sich zahlreichere Übernachtungsmöglichkeiten boten.
Mit diesem Gedanken im Kopf lief durch das Straßendorf Moroges, schaute aber dennoch vorsichtshalber nach links und rechts, ob sich nicht irgendwo ein Hinweis auf ein „Chambre“ finden ließ, was im Pilgerführer nicht erwähnt war.
 
Mein suchender Blick wurde ganz offensichtlich wahrgenommen. Mir kam ein ziemlich alter Peugeot entgegen, der in meiner Höhe mitten auf der Straße anhielt. Dem Fahrzeug entstieg eine noch deutlich ältere Gemeindeschwester, die sich im nach hinein als echter Engel entpuppen sollte. Leider sprach sie nur Französisch. Mit Händen und Füßen fragte sie mich, wo ich schlafen wolle. Ich antwortete ihr, ebenfalls mit Händen und Füßen, in einem Bett, in meinem Zelt oder irgendwo an einem trockenen Platz.
 
Die alte Dame räumte derweil den Beifahrersitz ihres Wagens frei. Ohne weitere Worte nahm sie mir meinen Rucksack ab und packte ihn in den Kofferraum. Danach musste ich einsteigen.
 
Sie fuhr mich etwa 300 Meter zurück zu einem kleinen Haus. Hier wohnte der zweite „Engel“ den ich heute kennen lernen durfte.
 
Es handelte sich um Herrn Francois Duniault.
Er war der Hausmeister der Dorfschule und kümmerte sich wohl auch um die Kirche und das Kirchanwesen.
Die Gemeindeschwester stellte mich kurz vor und verschwand dann ziemlich schnell, so dass ich mich gerade noch mittels Zuruf bei ihr bedanken konnte.
 
Herr Duniault führte mich zu einem anderen kleinen Haus in seiner direkten Nachbarschaft.
 
Hier, im Dachgeschoss, gab es einen großen und blitzsauberen Doppelraum, der  der Einrichtung nach für Kindergruppen genutzt wurde. Herr Duniault schaltete mir den Boiler an, damit ich am Waschbecken warmes Wasser zur Verfügung hatte.
 
Er händigte mir den Hausschlüssel und den Schulschlüssel aus. Den Schulschlüssel deshalb, weil es in dem Häuschen keine Toilette gab. So musste ich quer über den Kirchplatz zur Schule gehen, um eine Toilette zu erreichen.
Er fragte mich noch, ob ich Alles für ein Abendbrot dabei hätte. Ich erklärte ihm, dass ich Würstchen, Käse und Nüsse dabei hätte und das ein Stück Brot und eine Flasche Wein auf die Nacht vielleicht nicht schlecht wären.
 
Herr Duniault verstand mich. Er vermittelte mir, dass er sich um das Brot kümmern wolle. Wein gäbe es bei einem Winzer, kaum 100 m Meter von meiner Unterkunft entfernt, zu kaufen. Gleichzeitig griff er zum Telefon und telefonierte mit dem Winzer.
 
Soweit ich verstehen konnte erzählte er begeistert von einem „Pelerin Compostelle“ also von mir.
Ich verstand etwas von  „bouteille“ und „vin de table“ und „rouge“ also von einem einfachen roten Tafelwein.
Er sprach aber auch, eher bittend, von einer „dégustation“, wie ich heute weiß, von einer Verkostung.
 
Wir gingen auseinander. Herr Duniault fuhr los, um mir ein Stück Brot zu besorgen.
Ich ging zum Winzer, um mir eine Flasche Wein zu kaufen. Mittlerweile hatte Regen eingesetzt.
 
Auf dem Winzerhof wurde ich direkt von einer älteren Dame freundlich in Empfang genommen.
Sie führte mich in einen rustikalen Verkaufsraum und schon kam ich den Genuss einer umfangreichen Weinprobe. Die Dame schenkte mir begeistert einen edlen Tropfen nach dem anderen in Probiergläser ein.
Es galt Burgunderweine der Sorten Pinot Noire, Pinot Blanche, Aligoté und Chardonnay zu verkosten.
Darüber hinaus durfte ich zwei champagnerähnliche „Crémants“ in weiß und rosé probieren.
 
Ich hatte lange nichts gegessen und dementsprechend entfalteten die Weine ihre deutliche Wirkung.
Ich war ziemlich froh, dass ich zum Schluss der Verkostung meine Flasche roten Tafelwein zum Preis von 5.60 € übereicht bekam. Ich legte das Geld passend auf den Tisch. Die ältere Dame schob mir die Münzen lächelnd zurück und nahm nur den 5 Euroschein. Schon deutlich beschwingt ging ich zurück in meine zurück in meine Unterkunft.
 
Gegen 19:30 h kam Herr Duniault zurück und übergab mir ein kleines Baguette. Er erkundigte sich noch, ob alles OK wäre. Natürlich war es das.
 
Ich machte ihm mit Händen und Füßen klar, dass ich morgen früh zeitig los wollte und deshalb schon mal gerne die Kosten für die Unterkunft begleichen würde. Herr Duniault winkte ab und meinte, dass das Zimmer für mich „gratuit“ sei, also nichts kosten würde. Auch das Baguette wollte er nicht bezahlt haben, obwohl er extra mit seinem Wagen losgefahren war, um es zu besorgen. Ein wahrer Engel.
Aber es sollte noch besser kommen.
 
Herr Duniault erkundigte sich, wohin ich morgen gehen wollte. Ich sagte ihm, bis St. Gengoux-le-National.
Sofort kam wieder das Telefon ins Spiel. Herr Duniault rief seinen Freund, Herrn René Lacroix, an.
Herr Lacroix betreut eine Pilgerunterkunft in St. Gengoux und spricht recht gut Deutsch.
Ich konnte selbst mit ihm telefonieren und er reservierte mir für die morgige Nacht ein Zimmer.
Herr Duniault notierte kurzerhand die Anschrift und Telefonnummer des Herrn Lacroix auf einen Zettel, den er mir in die Hand drückte. Danach wünschte er mir eine gute Nacht.
 
Gegen 20:00 h öffnete ich mir die Flasche Wein und genoss ein ausgiebiges Abendbrot.  Ich ließ den langen Tag noch einmal Revue passieren.
Ich kam zum Schluss, dass der Tag durch das ständige bergauf und bergab anstrengend war. Ich hatte, mit „den Kölnern“ ein lustiges und mit dem Weidezaun ein sehr schmerzhaftes Erlebnis.
 
Das schönste Erlebnis überhaupt war aber die Begegnung mit der liebenswürdig resoluten Gemeindeschwester und der gelebten Gastfreundschaft des Herrn Duniault. Diese Begebenheit wird mir immer in Erinnerung bleiben. Sie war die bislang schönste Erfahrung auf meinem bisherigen Pilgerweg.
An dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank an die Beiden.
 
 
 
 
 
 
 
 





Etappe 34
Am 18.09.2012
Von Chagny über Rully und Mercurey nach Moroges
Streckenlänge: 26 Kilometer
 
Gegen 07:00 h war ich aufgestanden und habe mein Zelt abgebaut. Peter aus Köln, im Nachbarzelt, schien offensichtlich noch zu schlafen.
Als ich gestern auf dem Zeltplatz ankam, war die Rezeption geschlossen. Sie war nur am Nachmittag für ein paar Stunden geöffnet. Als ich am gestrigen Abend mit meinen Einkäufen zurückkehrte, hatte die freundliche, junge Dame am Empfang bereits ihren Computer wieder heruntergefahren. Mit einigem Charme entlockte sie mir den Personalausweis, legte ihn in ein Kästchen und sagte mir, ich solle heute früh ab 08:00 h erneut vorbeikommen, um meine Übernachtung zu bezahlen.
Das habe ich auch gemacht. Leider hatte ich einen ziemlich nervtötenden Niederländer vor mir. Er bestand darauf, der jungen Frau auf Englisch zu erklären, was an seinem Fahrrad kaputt sei. Sie sollte den Mangel in französischer Sprache aufschreiben, damit er den Zettel in der Fahrradwerkstatt vorlegen könne.
Er gab erst Ruhe, nachdem die junge Frau erklärte, dass sie Brasilianerin sei und sie lange nicht so gut Französisch spräche, wie es sich vielleicht anhören würde.
Gegen 08:30 h konnte ich dann auch endlich meine Rechnung bezahlen, bekam meinen Ausweis wieder und durfte endlich starten.
Schnell hatte ich den Ort Chagny durchquert und überquerte am Ortsausgang erst einmal einen Kanal.
Danach wurde es sofort zusehends ländlicher und bald verließ mein Weg die Straßen und führte über einen felsigen Schotterweg  immer bergauf auf den nächsten Hügelzug zu.
 
Hier im Aufstieg traf ich dann auf sie. Große, schwarze, breitkrempige Hüte mit übergroßer, silberner Jakobsmuschel und
gewaltige Pilgerstäbe. Der zu erwartende Pilgerumhang wurde allerdings durch hochwertigste Outdoor - Bekleidung ersetzt. Nach der Beschreibung von Moni und Thomas konnten das nur „die beiden Kölner“ sein. Mehr oder weniger sprach ich sie auch so an. Sie erkannten mich sofort als „den Solinger“.
Der Nachrichtendienst unter Pilgern schien also zu funktionieren. Irgendwie ein beruhigendes Gefühl.
 
Gemeinsam stapften wir bergwärts und erreichten bald eine heideähnliche Hochfläche.
Wir kamen ins Gespräch, ohne uns namentlich vorgestellt zu haben.
Schnell referierte „Der Kölner“ darüber, dass er gemeinsam mit seiner Frau den einzig wahren Jakobsweg begehen würde. Also seiner Meinung nach den von Köln über Trier, Cluny, Le Puy nach Saint-Jean-Pied-de-Port und danach entlang der spanischen Nordküste, da diese ja wie alle Küsten zuerst besiedelt wurde… . Weiter führte er aus, dass er den Weg zum Wandern über den Deutschen Alpenverein gefunden habe und eigentlich aus dem Kletterbereich komme. Es gäbe für ihn nichts Schöneres, als sich in der Natur anhand von Landkarten und Kompass zu bewegen, in den Alpen sei allerdings auch ein Höhenmesser von Vorteil.
„Die Kölnerin“ sprach derweil kaum ein Wort und ging immer mit einigem Abstand hinter uns her.
Plötzlich tönte ein seltsam schnarrendes Signal aus der Hosentasche „des Kölners“.
Ich dachte mir noch, welch ein vorzeitlicher Handyklingelton. Falsch gedacht.
Ein gezielter Griff in die Hosentasche „des Kölners“ förderte ein Hightech Navigationsgerät hervor, welches verkündete, das wir von der vorgesehenen Route abgewichen waren. Ich glaube, ein leichtes Prusten konnte ich nicht unterdrücken und hatte echte Mühe, nicht vor Lachen ins Heidekraut zu beißen.
Jedoch folgte ich den Beiden mit ihrem zuverlässigen Navi, nicht ganz uneigennützig, bis nach Rully.
 
In dem Ort konnte ich meinen Weg anhand der Beschreibung und der Kennzeichnung wieder alleine aufnehmen.
In einer kleinen Parkanlage in Rully traf ich erneut auf Moni und Thomas. Ich blieb auf ein kurzes Gespräch bei ihnen und ließ „die Kölner“ ziehen.
 
In einem kleinen Lebensmittelgeschäft kaufte ich eine große Weintraube und ein paar kleine Tomaten.
Wie sich später herausstellten sollte, sind Weintrauben auf nüchternen Magen nicht unbedingt die allererste Wahl, zumal sie, gelinde gesagt, die Verdauung stark anregen. 
 
Ab der Parkanlage setzte ich meinen Weg wieder alleine fort. Er führte mich zunächst steil bergan und aus der Stadt hinaus.
Ich passierte am Ortausgang das „Chateau Rully“ eine ansehnliche Schlossanlage.
 
Schon sehr bald darauf befand ich mich auf einem Hochplateau. Links und rechts der Straße lagen wieder die weitläufigen Weinfelder der Bourgogne.
 
Im weiteren Verlauf ging es dann durch ein Waldstück mit undurchdringlichen Buchsbaumhecken links und rechts des Weges.
 
Nach Verlassen des Waldes und einem großen Weinfeld später ereichte ich eine kleine Passhöhe.
Von hier führte ein Fahrweg hinab in den kleinen Ort Mercurey.
 
Linkerhand, direkt am Ortseingang, stand die Kirche „Notre Dame De Mercurey“. Auf dem Vorplatz gab es einige Hinweistafeln zur Bedeutung und Entstehung der Kirche. Darauf war auch ein schöner Stempel abgebildet, den ich unbedingt in meinem Pilgerpass haben wollte. Leider war die Kirche verschlossen.
Am dritten Haus traf ich auf eine aparte Bewohnerin, die sehr gut Englisch sprach. Sie erklärte mir, dass ein paar Straßen weiter, in der Rue de Chamerose das Weingut der Mme Janine Menand läge. Mme Menand besäße einen Schlüssel für die Kirche. Ich suchte das Weingut und traf auf Frau Menand. Sie erklärte sich sofort bereit, mit mir die 400 m zurück zur Kirche zu gehen, um mir dort einen Stempel in den Ausweis zu drücken.
Nach Durchquerung des Ortes stieg der Weg wieder in den nächsten Weinberg an.
Bei einem Blick über Mercurey hinweg zurück, erkannte ich gut den Fahrweg, auf dem ich zuvor vom letzten Weinberg kommen hinab in den Ort gewandert war.
 
Auf der nächsten Anhöhe passierte ich die alte Kirche Saint-Symphorien-de-Touches.
 
Von dieser Höhe ging es wieder hinab ins Tal, nach Saint-Martin-sous-Montaigu. Ein Blick in die Lankarte bestätigte meinen Verdacht.
Das gemächliche Wandern zwischen den ebenen Weinfeldern oder immer auf halber Höhe entlang der Weinberge schien beendet. Der heutige Weg führte ganz offensichtlich quer zur Geländefaltung, sodass ich noch den einen oder anderen Auf- und Abstieg vor mit hatte. Ich kümmerte mich nicht darum, denn das Laufen fiel mir heute leicht.
 
Am Fuß einer Schichtmauer entdeckte einen ganz besonderen Bewohner. Normalerweise huschen hier kleine, schlanke, braune Eidechsen zwischen den Steinen hin und her.
Auf einem platten Stein sonnte sich ein auffallend großes und fettes Exemplar einer grünen Eidechse. Sie flüchtete netterweise nicht sofort und gab mir die Gelegenheit zu einem gelungenen Schnappschuss.
 
 
Nach der Durchquerung von Saint-Martin-sous-Montaigu  ging es direkt wieder hinauf auf den nächsten Höhenzug.
Ein endlos erscheinender und schwer zu gehender felsiger Weg führte mich ständig bergan. Er zog und zog sich.
Ich musste nach einiger Zeit eine kleine Pause einlegen und einen ordentlichen Schluck aus meiner Wasserflasche nehmen.
Die weitere Wegbeschreibung verhieß nichts Gutes.
So sollte der Weg am oberen Ende des Waldes den Eindruck vermitteln, als sei man bereits oben angekommen.
Danach setzte der Pfad sich aber, immer noch stets bergan führend, durch eine große Heidefläche fort, die die gesamte Bergkuppe bedeckte.
 
Endlich hatte ich den Gipfel des Hügels erreicht und pausierte ein weiteres Mal unter einem der typischen Steinkreuze an einer Wegkreuzung.
Ich war ganz gut außer Atem.
In Gedanken stellte ich mir bereits vor, wie es in der Auvergne zugehen würde, wo die Hügel deutlich mehr als doppelt so hoch waren wie hier.
 
Schon bald darauf erschloss sich aus der Höhe in östlicher Richtung ein toller Blick hinunter auf
Chalon-sur-Saone, der französischen Partnerstadt meines Wohnortes Solingens.
Manchmal schien sich der Weg durch die grasige Hochfläche zu verlieren und war zum Teil nur zu erahnen. Offensichtlich hatte sich mein Gefühl nicht geirrt, ich erreichte, wie vorgesehen,  den Ortsrand von Russily.
Der Ort wurde lediglich kurz berührt und weiter ging es durch Wiesen und Wälder. An einer Stelle verjüngte sich ein Waldgebiet zu einem nur noch etwa 10 m breiten, mit Bäumen bestandenen Streifen.
 
Durch diesen schmalen Waldstreifen führte ein tunnelartiger Hohlweg direkt auf eine Viehweide zu.
Unmittelbar hinter dem Hohlweg stand ein Charolais – Jungbulle. Er nahm mich direkt ins Visier, schnaubte, riss mit seinem rechten Vorderhuf eine ansehnliche Grassode aus der Wiese und warf diese nach hinten. Ich habe wirklich eine ganze zeitlang überlegt, ob ich auf dem Feldweg  an der Weide vorbeigehen sollte. Eine akzeptable Umgehung war für mich auf die Schnelle leider nicht erkennbar.
 
Ich nahm mir ein Herz, öffnete schon mal den Bauchgurt  des Rucksacks und lockerte die Schulterträger, damit ich mich im Notfall schnell vom Rucksack befreien und das Weite suchen konnte.
Der Jungbulle mampfte weiter sein Gras und schaute mich gelangweilt an, während ich vorsichtig vorbei schlich. Möglicherweise hatte ich ihn auf seiner unendlich ruhigen Weide nur erschreckt.
 
Und wieder führte mich mein Weg bergab in das nächste Tal, nach Charnaille und in der Folge nach Jambles.
 
Ich passierte den fast angrenzenden Ort Jambles, wo ich mir meine 1,5 Liter Trinkflasche nochmals auffüllen ließ.
 
Allmählich kamen in mir Gedanken an die nächste Nacht auf. Wo immer ich auch bleiben würde, jetzt hatte ich bis zum morgigen Tag genug zu Trinken und zu Essen dabei.
 
Hinter Jambles stieg der Weg zum nächsten Hügel wieder an. Ein Blick zurück offenbarte die malerische Lage der beiden Orte in dem stillen Hochtal.
 
Erneut ging es erst durch einen Waldgürtel, hinauf auf eine heideartige Fläche auf der Höhe.
 
Diesmal war die riesige Heidefläche zum Teil durch Weidezäune in nicht zu überschauende Parzellen unterteilt. Hier galt es einen engen Durchgang in die grobe Richtung des Örtchens St. Dessert zu finden.
In St. Dessert hatten Moni und Thomas ihr Ausweichquartier für Moroges klar gemacht.
 
An den Zugängen zu den letzten beiden großen Heideflächen mussten jeweils Gatter durchquert werden.
Vor dem kommenden Gatter wurde in der Wegbeschreibung ausdrücklich gewarnt. In dem Buch stand  „Vorsicht vor dem Stacheldraht“.
Ich erreichte dieses Gatter. Es war etwa drei Meter breit und aus dicken Holzbrettern zusammengenagelt. Zudem war es innen und außen mit reichlich Stacheldraht beschlagen.
Ich hing das Gatter an der einen Seite aus und drückte es leicht auf. Direkt fiel das Konstrukt in sich zusammen, da sich die Bretterverbindungen untereinander im Laufe der Jahre wohl gelockert hatten.
 
Nach passieren des Gatters versuchte ich es wieder aufzurichten und zu verschließen. Mit Rucksack keine Chance. Ich setzte meinen Rucksack ab. Erneut richtete ich das Gatter mit aller Kraft wieder auf und drückte es zu. Ich stemmte mich mit dem ganzen Körper dagegen und achtete hierbei, wie empfohlen, auf den Stacheldraht.
Als ich gerade mit der einen Hand das Gatter mit der dafür vorgesehenen Drahtschlaufe verschließen wollte, geriet ich (bei kurzer Hose) mit meiner leicht schwitzigen Kniekehle an den verrosteten Draht eines Elektroweidezaunes, der bis dahin im halbhohen Gras nicht sichtbar war.
 
Bang vmV. Das waren Schmerzen. Meine Haare standen wieder korrekt senkrecht und unwillkürlich schaute ich nach, ob ich meine Schuhe noch an hatte.
Mein Körper zuckte zusammen und in den nächsten zwei drei Minuten war mir richtig schummerig.
 
Das Gatter krachte bei dem Stromschlag natürlich wieder altersschwach zu Boden.
 
Nachdem ich es erfolgreich wieder aufgestellt und eingehangen hatte, wurde mir auch klar, warum der junge Charolaisbulle von vorhin so friedlich auf seiner Weide blieb und gebührenden Abstand zum Weidezaun hielt.
 
Ich fragte mich allen Ernstes mit welchen Stromstärken Weidezäune in Frankreich betrieben werden.
 
Oder war man als Kind vielleicht wirklich schmerzfrei. Schließlich hatten wir als Kinder im Bergischen Land hin und wieder eine Mutprobe daraus gemacht, einen Elektroweidezaun anzufassen.
 
Ein letztes Mal für diesen Tag führte der Weg ins Tal, in den Ort Cercot. Hier musste ich die autobahnähnliche N80 unterqueren. Es folgte ein weitere letzter, dafür umso steilerer Anstieg hinauf nach Moroges, wo ich wohl keine Übernachtungsmöglichkeit zu erwarteten hatte.
 
Irgendwie fühlte ich mich trotz des heutigen ständigen Bergauf und Bergab und der bereits zurückgelegten Strecke von 26 Kilometern noch relativ fit. Im Gedanken spielte ich damit, noch die sechs Kilometer bis
Montagy-les-Buxy weiter zu gehen, wo sich zahlreichere Übernachtungsmöglichkeiten boten.
Mit diesem Gedanken im Kopf lief durch das Straßendorf Moroges, schaute aber dennoch vorsichtshalber nach links und rechts, ob sich nicht irgendwo ein Hinweis auf ein „Chambre“ finden ließ, was im Pilgerführer nicht erwähnt war.
 
Mein suchender Blick wurde ganz offensichtlich wahrgenommen. Mir kam ein ziemlich alter Peugeot entgegen, der in meiner Höhe mitten auf der Straße anhielt. Dem Fahrzeug entstieg eine noch deutlich ältere Gemeindeschwester, die sich im nach hinein als echter Engel entpuppen sollte. Leider sprach sie nur Französisch. Mit Händen und Füßen fragte sie mich, wo ich schlafen wolle. Ich antwortete ihr, ebenfalls mit Händen und Füßen, in einem Bett, in meinem Zelt oder irgendwo an einem trockenen Platz.
 
Die alte Dame räumte derweil den Beifahrersitz ihres Wagens frei. Ohne weitere Worte nahm sie mir meinen Rucksack ab und packte ihn in den Kofferraum. Danach musste ich einsteigen.
 
Sie fuhr mich etwa 300 Meter zurück zu einem kleinen Haus. Hier wohnte der zweite „Engel“ den ich heute kennen lernen durfte.
 
Es handelte sich um Herrn Francois Duniault.
Er war der Hausmeister der Dorfschule und kümmerte sich wohl auch um die Kirche und das Kirchanwesen.
Die Gemeindeschwester stellte mich kurz vor und verschwand dann ziemlich schnell, so dass ich mich gerade noch mittels Zuruf bei ihr bedanken konnte.
 
Herr Duniault führte mich zu einem anderen kleinen Haus in seiner direkten Nachbarschaft.
 
Hier, im Dachgeschoss, gab es einen großen und blitzsauberen Doppelraum, der  der Einrichtung nach für Kindergruppen genutzt wurde. Herr Duniault schaltete mir den Boiler an, damit ich am Waschbecken warmes Wasser zur Verfügung hatte.
 
Er händigte mir den Hausschlüssel und den Schulschlüssel aus. Den Schulschlüssel deshalb, weil es in dem Häuschen keine Toilette gab. So musste ich quer über den Kirchplatz zur Schule gehen, um eine Toilette zu erreichen.
Er fragte mich noch, ob ich Alles für ein Abendbrot dabei hätte. Ich erklärte ihm, dass ich Würstchen, Käse und Nüsse dabei hätte und das ein Stück Brot und eine Flasche Wein auf die Nacht vielleicht nicht schlecht wären.
 
Herr Duniault verstand mich. Er vermittelte mir, dass er sich um das Brot kümmern wolle. Wein gäbe es bei einem Winzer, kaum 100 m Meter von meiner Unterkunft entfernt, zu kaufen. Gleichzeitig griff er zum Telefon und telefonierte mit dem Winzer.
 
Soweit ich verstehen konnte erzählte er begeistert von einem „Pelerin Compostelle“ also von mir.
Ich verstand etwas von  „bouteille“ und „vin de table“ und „rouge“ also von einem einfachen roten Tafelwein.
Er sprach aber auch, eher bittend, von einer „dégustation“, wie ich heute weiß, von einer Verkostung.
 
Wir gingen auseinander. Herr Duniault fuhr los, um mir ein Stück Brot zu besorgen.
Ich ging zum Winzer, um mir eine Flasche Wein zu kaufen. Mittlerweile hatte Regen eingesetzt.
 
Auf dem Winzerhof wurde ich direkt von einer älteren Dame freundlich in Empfang genommen.
Sie führte mich in einen rustikalen Verkaufsraum und schon kam ich den Genuss einer umfangreichen Weinprobe. Die Dame schenkte mir begeistert einen edlen Tropfen nach dem anderen in Probiergläser ein.
Es galt Burgunderweine der Sorten Pinot Noire, Pinot Blanche, Aligoté und Chardonnay zu verkosten.
Darüber hinaus durfte ich zwei champagnerähnliche „Crémants“ in weiß und rosé probieren.
 
Ich hatte lange nichts gegessen und dementsprechend entfalteten die Weine ihre deutliche Wirkung.
Ich war ziemlich froh, dass ich zum Schluss der Verkostung meine Flasche roten Tafelwein zum Preis von 5.60 € übereicht bekam. Ich legte das Geld passend auf den Tisch. Die ältere Dame schob mir die Münzen lächelnd zurück und nahm nur den 5 Euroschein. Schon deutlich beschwingt ging ich zurück in meine zurück in meine Unterkunft.
 
Gegen 19:30 h kam Herr Duniault zurück und übergab mir ein kleines Baguette. Er erkundigte sich noch, ob alles OK wäre. Natürlich war es das.
 
Ich machte ihm mit Händen und Füßen klar, dass ich morgen früh zeitig los wollte und deshalb schon mal gerne die Kosten für die Unterkunft begleichen würde. Herr Duniault winkte ab und meinte, dass das Zimmer für mich „gratuit“ sei, also nichts kosten würde. Auch das Baguette wollte er nicht bezahlt haben, obwohl er extra mit seinem Wagen losgefahren war, um es zu besorgen. Ein wahrer Engel.
Aber es sollte noch besser kommen.
 
Herr Duniault erkundigte sich, wohin ich morgen gehen wollte. Ich sagte ihm, bis St. Gengoux-le-National.
Sofort kam wieder das Telefon ins Spiel. Herr Duniault rief seinen Freund, Herrn René Lacroix, an.
Herr Lacroix betreut eine Pilgerunterkunft in St. Gengoux und spricht recht gut Deutsch.
Ich konnte selbst mit ihm telefonieren und er reservierte mir für die morgige Nacht ein Zimmer.
Herr Duniault notierte kurzerhand die Anschrift und Telefonnummer des Herrn Lacroix auf einen Zettel, den er mir in die Hand drückte. Danach wünschte er mir eine gute Nacht.
 
Gegen 20:00 h öffnete ich mir die Flasche Wein und genoss ein ausgiebiges Abendbrot.  Ich ließ den langen Tag noch einmal Revue passieren.
Ich kam zum Schluss, dass der Tag durch das ständige bergauf und bergab anstrengend war. Ich hatte, mit „den Kölnern“ ein lustiges und mit dem Weidezaun ein sehr schmerzhaftes Erlebnis.
 
Das schönste Erlebnis überhaupt war aber die Begegnung mit der liebenswürdig resoluten Gemeindeschwester und der gelebten Gastfreundschaft des Herrn Duniault. Diese Begebenheit wird mir immer in Erinnerung bleiben. Sie war die bislang schönste Erfahrung auf meinem bisherigen Pilgerweg.
An dieser Stelle nochmals meinen herzlichen Dank an die Beiden.